Das Fusionsprojekt, das die beiden traditionsreichen Kanzleien im vergangenen Frühjahr angestoßen haben, ist wahrlich groß: A&O bringt rund 2.700 Anwältinnen und Anwälte in das gemeinsame Geschäft ein, Shearman & Sterling rund 850. Zusammen kommen beide Kanzleien auf einen weltweiten Umsatz von über drei Milliarden Euro.
Circa 800 Partner vereint das Unternehmen, das kürzlich sein gemeinsames, vierköpfiges, globales Managementteam ernannte. Der Pariser Büroleiter und Kapitalmarktspezialist Hervé Ekué führt die globale Kanzlei als Managing-Partner, der langjährige Managing-Partner für den Nahen Osten und die Türkei, Khalid Garousha, ist ihr erster Senior-Partner. Von Shearman & Sterling ergänzt der aktuelle Shearman-Senior-Partner Adam Hakki das Management ebenfalls als Senior-Partner. Managementaufgaben wird außerdem Doreen Lilienfeld übernehmen.
Für hochgezogene Augenbrauen sorgt in London weiterhin, dass kein Partner aus dem dortigen Büro eine prominente Position im globalen Management einnimmt. Mittlerweile ist bekannt, dass Denise Gibson, Co-Head der britischen Leverage-Finance-Praxis von Allen & Overy, zukünftig das UK-Geschäft der fusionierten Kanzlei anführt. Für alle Mitglieder des Managements, insbesondere in den USA, wird jetzt die Integration der beiden Einheiten zur Hauptaufgabe.
Integration global und lokal
Shearman kommt bislang auf 25, Allen & Overy auf 43 Standorte weltweit. Die Teams müssen nicht nur global integriert werden, sondern auch lokal. In insgesamt 18Städten–von Abu Dhabi bis Washington D.C.–hatten beide Kanzleien eigene Büros. Viele Anwältinnen und Anwälte müssen nun in neue Räume ziehen, wenn sie nicht bereits die Kanzlei verlassen haben.
In Deutschland, wo Shearman & Sterling um die Jahrtausendwende zu den führenden Transaktionseinheiten gehörte, entschied sich mit dem Münchner Team ein wesentlicher Teil der deutschen Praxis noch vor den Gesprächen mit Allen & Overy für einen Wechsel zu Morgan Lewis & Bockius. Besonders spektakulär war der Wechsel des bisherigen Managing-Partners von Shearman, George Casey, zu Jahresbeginn. Mit seinem Team zog es ihn ins New Yorker Büro von Linklaters. Aber auch in den vergangenen Tagen verließen weitere Partner zu beiden Seiten des Atlantiks das A&O Shearman-Boot. So etwa der leitende Partner der italienischen Praxis, der zu White & Case wechselte. Oder der in Houston, Texas, ansässige Steuer- und Energie-Experte Todd Lowther, der vor Ort zu Clifford Chance geht. Marktbeobachter sind sich sicher, dass es in den kommenden Wochen und Monaten noch weitere Projektaussteiger geben wird.
Magic Circle dominiert Kultur
Das mag auch an unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich der Kanzlei- und Beratungskultur liegen: Shearman & Sterling steht für das klassische amerikanische Anwaltsgeschäft, Allen & Overy hingegen für Innovation insbesondere in ihrer globalen Bankenpraxis. Dort sind die Briten Vorreiter bei der Nutzung von Technologie in der Rechtsberatung. Wie divers Allen & Overy als Beratungsgesellschaft aufgestellt ist, belegte jüngst der Verkauf der A&O-Tochter Aosphere, ein Informationsdienstleister für den Rechtsmarkt, an einen Private-Equity-Investor. Für den Deal soll sie Marktberichten zufolge rund 200 Millionen Euro erhalten haben.
Für Allen & Overy geht die strategische Hoffnung des Deals mit dem deutlich verbesserten Zugang zum US-Markt einher, den der britische Magic Circle verstärkt sucht. Auch wenn die weitere globale Integration noch Jahre dauern wird: Als A&O Shearman ist die Kanzlei im Wettlauf der London-basierten Magic-Circle-Kanzleien um den Aufbau von schlagkräftigen Präsenzen im US-amerikanischen Markt nun rein zahlenmäßig gut positioniert. Von Shearman gewinnt sie Präsenzen in Austin, Dallas, Houston und Menlo Park hinzu. Aber auch die Bekanntheit von Allen & Overy dürfte in den USA bereits jetzt gewonnen haben. Trotz ihres zuletzt schwächelnden Geschäfts steht die Marke Shearman & Sterling in den USA weiterhin für hochpreisige juristische Hochreck-Beratung.
JUVE hat die Situation in einer Serie analysiert:
- Magic Circle und die US-Konkurrenz
- So unterschiedlich geht der Magic Circle den US-Ausbau an
- Kulturkampf – Magic Circle in der Lockstep-Falle
Die Rolle der Deutschen
Es ist kein Geheimnis, dass die deutsche Praxis von Allen & Overy zu den schwächsten der hierzulande tätigen Magic-Circle-Einheiten gehört. Seit rund drei Jahren durchläuft die deutsche Praxis einen strategisch getriebenen Wandel. Die Kanzlei will sich stärker auf integriertes Geschäft fokussieren, das in komplexen Mandaten fach- und länderübergreifende Teams erfordert. Dafür wurden einige Praxen gezielt ausgebaut, in denen die Kanzlei hierzulande noch schwächelte. Ein Beispiel ist etwa die Patentrechtspraxis oder auch Restrukturierung.
Wie die Briten knüpfen allerdings auch die deutschen Partnerinnen und Partner große Erwartungen an die neue Plattform. Bereits in der Vergangenheit hat sich insbesondere die deutsch-amerikanische Achse als fruchtvoll erwiesen. Dass die deutsche Praxis profitieren kann, zeigten die jüngsten Partnerernennungen: Nachdem es 2023 bei Allen & Overy nur für eine Partnerernennung gereicht hatte, rückten jetzt zum Start von A&O Shearman gleich fünf Anwältinnen und Anwälte in die deutsche Partnerschaft auf, die weiterhin von Dr. Wolf Bussian angeführt wird.